Was bedeutet die Verschmelzung zweier Lebensversicherer für die Versicherten – ein Signal für Stabilität oder für die wachsende Macht von Großgesellschaften?
Die Nachricht schlug Wellen in der Branche: Mit Verfügung vom 15. August 2025 genehmigte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Verschmelzung der Süddeutschen Lebensversicherung a.G. auf die Stuttgarter Lebensversicherung a.G. – ein Zusammenschluss zweier traditionsreicher Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Was auf den ersten Blick wie ein formaler Verwaltungsakt erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Paradebeispiel für die tiefgreifenden Veränderungen im deutschen Versicherungswesen. Der Fall zeigt, wie eng juristische Feinheiten, ökonomische Interessen und das Vertrauen von Millionen Versicherten miteinander verflochten sind.
Rechtliche Basis – wenn die BaFin entscheidet
- 14 Abs. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) ist die zentrale Norm: Eine Fusion von Versicherungsunternehmen bedarf zwingend der Genehmigung durch die Aufsicht. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn die ordnungsgemäße Führung des Versicherungsunternehmens nicht gefährdet wird. Dahinter steckt mehr als juristische Technik – es ist ein Schutzwall für Verbraucher.
Die BaFin prüft dabei weit mehr als nur die Verschmelzungsverträge. Sie bewertet Solvabilität, Risikopositionen, Kapitalanlagen und organisatorische Strukturen. Besonders brisant ist die Rechtsform: Beide Gesellschaften sind Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Hier gilt es zu garantieren, dass die Mitgliederrechte der Versicherten nicht unter den Tisch fallen. „Gerade in solchen Fällen muss die BaFin sicherstellen, dass Verbraucher nicht schlechter gestellt werden – weder in ihren Verträgen noch in ihrem Status als Mitglieder“, betont Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt aus Berlin und Vertrauensanwalt der ABOWI Law.
Die BaFin zwischen Wächterin und Gestalterin
Die Rolle der BaFin ist komplex. Sie wacht nicht nur über die Einhaltung der Gesetze, sondern wirkt gestaltend, indem sie Entwicklungen der Branche kanalisieren muss. Mit 2.800 Mitarbeitern beaufsichtigt sie mehr als 700 Versicherungsunternehmen in Deutschland. Allein 2024 führte sie über 400 Vor-Ort-Prüfungen durch, wobei Lebensversicherer besonders im Fokus standen.
„Die BaFin ist nicht nur Schiedsrichter, sie ist Taktgeberin“, erklärt Sven Enger, Geschäftsführer der auxinum GmbH und früherer Vorstand mehrerer Lebensversicherer. Enger weiß aus Erfahrung, wie intensiv die Behörde Eingriffe in die strategische Planung eines Unternehmens vornimmt. „Sie hat die Macht, Fusionsprozesse zu beschleunigen oder auszubremsen. Ohne grünes Licht bewegt sich nichts.“
Versicherungsnehmer im Spannungsfeld – Vertrauen oder Verunsicherung?
Für die Versicherten geht es um mehr als juristische Paragrafen. Sie fragen sich: Bleiben meine Policen gültig? Werden Ansprechpartner gewechselt? Ist mein Schutz sicher? Laut § 13 Abs. 2 VAG müssen Verbraucher informiert werden, sobald sich ein Wechsel auf den Versicherungsschutz auswirkt. Doch die Praxis zeigt, dass Transparenz oft zu wünschen übrig lässt.
Hier warnt Dr. Schulte eindringlich: „Fusionen dürfen nicht im Vorstandssaal stecken bleiben. Jede Veränderung muss den Weg zu den Versicherungsnehmern finden – rechtzeitig, verständlich, rechtssicher.“ In der Vergangenheit hätten mangelnde Informationen immer wieder zu Klagen und Vertrauensverlust geführt.
Eine aktuelle Studie der Verbraucherzentrale Bundesverbandes zeigt, dass fast 60 Prozent der Versicherungsnehmer bei Unternehmensfusionen unsicher sind, ob ihre Rechte bestehen bleiben. Diese Unsicherheit ist brandgefährlich – für den Ruf der Versicherer ebenso wie für die Akzeptanz regulatorischer Prozesse.
Ökonomische Interessen – Konsolidierung oder Konzentration?
Hinter jeder Fusion stehen harte Zahlen. Der deutsche Lebensversicherungsmarkt ist mit rund 82 Millionen Policen größer als die Bevölkerung selbst. Das verwaltete Kapital beläuft sich auf über 1,1 Billionen Euro. In Zeiten niedriger Zinsen und steigender Regulierungskosten kämpfen viele kleinere Anbieter ums Überleben.
„Die Fusion von Süddeutscher und Stuttgarter Lebensversicherung ist kein Einzelfall, sondern Teil einer Welle der Konsolidierung“, sagt Sven Enger. „Unternehmen suchen Skaleneffekte, weniger Verwaltungsaufwand und größere Schlagkraft im Wettbewerb.“ Doch er fügt kritisch hinzu: „Die Kehrseite ist die wachsende Konzentration. Am Ende könnte der Markt von wenigen großen Playern dominiert werden – und das birgt Risiken für den Wettbewerb.“
Juristische und organisatorische Herausforderungen – der lange Weg zum Handelsregister
Ein Zusammenschluss von Versicherern ist kein einfacher Akt. Neben dem Versicherungsaufsichtsgesetz greifen auch das Umwandlungsgesetz und das Kartellrecht. Verschmelzungsverträge müssen notariell beurkundet und im Handelsregister eingetragen werden. Hinzu kommen komplexe steuerliche Fragen, die mitunter Jahre der Vorbereitung verlangen.
Die größte Herausforderung bleibt jedoch die rechtliche Absicherung der Versicherten. Ein Zusammenschluss bedeutet, dass Millionen Verträge überprüft und gegebenenfalls angepasst werden müssen. Fehler an dieser Stelle können zu massiven Schadensersatzforderungen führen. „Kein Fusionsprozess ohne begleitende juristische Expertise – das ist meine feste Überzeugung“, sagt Dr. Schulte.
Die BaFin als Stabilitätsanker – Lehren aus der Vergangenheit
Die BaFin agiert nicht im luftleeren Raum. Sie hat aus früheren Krisen gelernt – etwa aus der Beinahe-Pleite der Mannheimer Lebensversicherung Anfang der 2000er oder der anhaltenden Kritik an der Risikotragfähigkeit kleinerer Gesellschaften. Mit strengeren Eigenmittelanforderungen (Solvency II) und intensiverer Prüfungspraxis will sie heute verhindern, dass eine Fusion Risiken verschleiert, anstatt sie zu lösen.
„Die BaFin darf nicht nur reaktiv agieren“, warnt Enger. „Sie muss Trends erkennen und vorausdenken. Nur dann kann sie ihrer Rolle als Schutzinstanz wirklich gerecht werden.“
Chancen und Risiken – was bedeutet die Fusion für Verbraucher?
Die Chancen liegen auf der Hand: stärkere Gesellschaften, mehr Stabilität, bessere Nutzung von Kapital. Für Verbraucher kann das bedeuten, dass ihre Policen bei einem finanzkräftigeren Unternehmen liegen. Doch die Risiken sind nicht zu unterschätzen: weniger Wettbewerb, sinkende Transparenz und die Gefahr, dass Mitgliederrechte in großen Organisationen verwässert werden.
Eine Umfrage des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen von 2024 ergab: 47 Prozent der Versicherten sehen Fusionen positiv, weil sie Stabilität versprechen. 39 Prozent äußern jedoch Misstrauen, insbesondere wegen mangelnder Information und unklarer Auswirkungen auf ihre Verträge.
Fazit und Ausblick – BaFin zwischen Vertrauen und Verantwortung
Die Fusion von Süddeutscher und Stuttgarter Lebensversicherung ist mehr als eine interne Strukturentscheidung. Sie ist ein Lehrstück darüber, wie eng Recht, Regulierung und Vertrauen zusammenhängen. Für die BaFin bedeutet der Vorgang einen Balanceakt: Sie muss die Stabilität des Finanzplatzes Deutschland sichern, darf aber nicht den Eindruck erwecken, zum Erfüllungsgehilfen von Konzernstrategien zu werden.
„Die Versicherten dürfen niemals den Eindruck haben, nur Statisten zu sein, während Vorstände und Aufsichtsbehörden die Bühne beherrschen“, warnt Dr. Schulte. Und Sven Enger ergänzt: „Aufklärung ist entscheidend. Verbraucher müssen verstehen, warum Fusionen stattfinden und welche Rechte sie haben.“
Die Zukunft der Branche wird weitere Zusammenschlüsse bringen – getrieben von regulatorischem Druck, Kostenoptimierung und dem Kampf um Marktanteile. Die entscheidende Frage lautet: Wird es der BaFin gelingen, diesen Prozess so zu lenken, dass am Ende nicht nur Unternehmen stärker werden, sondern auch die Rechte und das Vertrauen der Versicherten?
V.i.S.d.P
Dr. Rainer Schreiber
Dozent, Erwachsenenbildung & Personalberater
Über den Autor:
Personalberater und Honorardozent Dr. Rainer Schreiber, mit Studium der Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Finanzierung, Controlling, Personal- und Ausbildungswesen. Der Blog schreiber-bildung.de bietet Themen rund um Bildung, Weiterbildung und Karrierechancen. Sein Interesse liegt in der beruflichen Erwachsenenbildung und er publiziert zum Thema Personalberatung, demografischer Wandel und Wirtschaftspolitik.
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