Das Geschäft mit dem Leben – warum Lebensversicherungen so viel kosten und so wenig bringen

Das Geschäft mit dem Leben – warum Lebensversicherungen so viel kosten und so wenig bringen - Philipp Schade und Sven Enger

Worüber schreiben wir:

Vier Millionen neue Verträge pro Jahr, Milliarden an Kosten – und am Ende weniger für die Kunden. Ist das Geschäftsmodell der Lebensversicherung überhaupt noch zeitgemäß?

Wer heute über private Altersvorsorge spricht, kommt an einem Produkt nicht vorbei: der Lebens- und Rentenversicherung. Sie wird von Banken, Vermittlern und Versicherungsvertretern als solider Baustein für die finanzielle Sicherheit im Alter verkauft. Doch schaut man genauer hin, zeigt sich ein anderes Bild. Noch immer werden in Deutschland jährlich rund vier Millionen private Renten- und Lebensversicherungen neu abgeschlossen – 2024 waren es laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) insgesamt 4,4 Millionen neue Lebensversicherungspolicen, wovon 2,04 Millionen auf Rentenversicherungsverträge entfielen. Diese Zahlen liegen kaum niedriger als vor zehn Jahren, obwohl Studien und unabhängige Experten seit Jahren warnen: Für viele Verbraucher lohnt sich das Geschäft nicht, es bringt in erster Linie den Unternehmen und Vermittlern Geld – und nicht den Kunden.

Sven Enger, ehemaliger Vorstand mehrerer Lebensversicherer und heute Geschäftsführer der Verbraucherplattform auxinum, formuliert es drastisch: „Es ist ein System, das von den Beiträgen der Menschen lebt, aber ihnen selbst häufig nur einen Bruchteil zurückgibt. Ich habe die Seiten gewechselt, weil ich es nicht länger verantworten wollte, Menschen Produkte zu verkaufen, die ihnen am Ende mehr schaden als nutzen.“

Beispielrechnung mit Zahlen – das Ausmaß der Kosten

Nehmen wir an, eine Kundin möchte ernsthaft für das Alter vorsorgen und entscheidet sich für eine klassische private Rentenversicherung. Sie investiert 200 Euro im Monat über 30 Jahre. Das ergibt eine gesamte Beitragssumme von 72.000 Euro.

Die Abschlusskosten: Laut Gesetz dürfen diese bis zu 2,5 Prozent der Beitragssumme betragen. 2,5 Prozent von 72.000 Euro sind 1.800 Euro. Diese Summe wird typischerweise auf die ersten fünf Jahre verteilt, sodass pro Monat etwa 30 Euro der Beiträge nicht in die Altersvorsorge fließen, sondern an den Vertrieb.

Die Verwaltungskosten: Noch gravierender als die Abschlusskosten ist jedoch die dauerhafte Renditeminderung. Die BaFin hat 2022 ermittelt, dass im Schnitt 1,9 Prozent Rendite pro Jahr verloren gehen. Rechnen wir: Wenn die Kundin ihre 200 Euro monatlich in einen breit gestreuten ETF-Sparplan mit einer durchschnittlichen Rendite von 6 Prozent investiert hätte, stünde sie nach 30 Jahren mit etwa 201.000 Euro da.

In der Versicherung, bei einer Rendite nach Kosten von nur 4,1 Prozent, bleiben jedoch lediglich rund 134.500 Euro. Die Differenz: über 66.000 Euro – mehr als die gesamte Einzahlungssumme!

Wer profitiert von Lebensversicherungen - Sven Enger

Vertriebsapparat auf Kosten der Kunden

Warum werden dann immer noch Millionen solcher Verträge jährlich verkauft? Die Antwort liegt im Vertrieb. Versicherungsvermittler und Vertreter erhalten für den Abschluss Provisionen, die oft mehrere Tausend Euro pro Vertrag betragen. Laut einer GDV-Studie flossen 2023 allein rund 6,5 Milliarden Euro an Abschlussprovisionen an Vermittler – Geld, das direkt aus den Beiträgen der Kunden stammt.

Sven Enger sieht hier das Kernproblem: „Der Vertrieb wird incentiviert, Verträge abzuschließen, nicht aber dafür, ob sie für den Kunden langfristig sinnvoll sind. Solange das System so funktioniert, wird es auch weiterhin Millionen Neuabschlüsse geben – und Millionen enttäuschter Versicherter, die im Alter feststellen, dass ihre Erwartungen nicht erfüllt werden.“

Die alternative Berechnung – höherer Beitrag, längere Laufzeit

Noch deutlicher wird es bei höheren Beträgen. Angenommen, ein Familienvater zahlt 500 Euro im Monat über 25 Jahre ein. Seine gesamte Einzahlung beträgt 150.000 Euro. Bei einer angenommenen Marktrendite von 6 Prozent könnte er auf knapp 350.000 Euro Vermögen kommen.

Doch durch die durchschnittliche Kostenbelastung sinkt seine Effektivrendite auf 4,1 Prozent. Am Ende stehen nur noch rund 245.000 Euro im Vertrag. Das bedeutet: Er verliert 105.000 Euro an möglicher Rendite – fast so viel, wie er insgesamt eingezahlt hat.

Prof. Dr. Philipp Schade, Aktuar und Experte für Rückabwicklungen, betont: „Es ist dieser stille Verlust, den die meisten Versicherungsnehmer nicht bemerken. Sie glauben, mit 500 Euro im Monat für ihre Familie vorzusorgen, und merken erst Jahrzehnte später, dass ein Drittel ihres Vermögens durch Kosten und Gebühren verpufft ist.“

Die versteckte Schieflage – Berechnungen von Prof. Schade

Prof. Dr. Philipp Schade, Aktuar, erklärt: „Die Differenz zwischen den theoretischen Erträgen einer Kapitalanlage und den tatsächlich erzielten Werten in Lebensversicherungen ist eklatant. In unseren Gutachten stellen wir immer wieder fest, dass Verbraucher über Jahrzehnte hinweg durchschnittlich 30 bis 40 Prozent weniger Rendite erzielen, als sie bei vergleichbaren Direktanlagen erwarten dürften. Dieses Ungleichgewicht ist systematisch und kein Einzelfall.“

Besonders kritisch sei, dass Versicherte die Dimension dieses Verlustes kaum erkennen könnten. Verträge seien oft über 80 Seiten lang, gespickt mit Klauseln, Garantien und Versprechen. „Doch das Kleingedruckte enthält die entscheidenden Stellschrauben – Verwaltungskosten, Risikoprämien, Überschussbeteiligungen. Am Ende bleibt vom ursprünglichen Versprechen oft nur ein Bruchteil übrig“, so Schade.

Analyse der Lebensversicherungen - Philipp Schade

Steuervorteil als Feigenblatt?

Die Branche lebt auch von dem Gerücht, dass Lebens- und Rentenversicherungen steuerliche Vorteile bieten. Das ist allerdings Jahrzehnte her … Doch Studien zeigen, dass dieser Effekt die hohen Kosten kaum kompensiert hatte.

Risiko oder Sicherheit – das Märchen von der ewigen Rente

Ein weiteres Verkaufsargument lautet, dass ETF-Sparpläne im Alter „aufgebraucht“ sein könnten, während Versicherungen lebenslange Renten garantieren. Doch auch hier ist Vorsicht geboten. Denn die Garantien sind teuer erkauft. Laut BaFin mussten deutsche Lebensversicherer 2023 rund 86 Milliarden Euro an Zinszusatzreserven bilden, um ihre langfristigen Garantien abzusichern. Dieses Kapital fehlt den Unternehmen für Investitionen in ertragreichere Anlagen – und damit auch den Kunden.

Eine konservative Entnahmestrategie von 3 Prozent pro Jahr aus einem ETF-Depot könnte hingegen ebenfalls eine lebenslange Versorgung sichern – und zugleich mehr Flexibilität bieten. „Die angebliche Sicherheit der Versicherungen ist teuer erkauft und oft ein Nullsummenspiel“, erklärt Enger. „Was wie ein Vorteil klingt, ist in Wahrheit nur ein anderer Weg, den Kunden Kosten aufzubürden.“

Die Dimension – Milliardenverluste für die Gesellschaft

Stellen wir uns vor, die jährlich rund vier Millionen Neuabschlüsse hätten ähnliche Strukturen. Wenn im Schnitt pro Vertrag 60.000 Euro an Renditepotenzial verloren gehen, summiert sich der Schaden für Verbraucher bereits in einem Jahr auf rund 240 Milliarden Euro – und in einer Generation von 25 Jahren auf etwa 6 Billionen Euro.

Sven Enger kommentiert: „Das ist nicht nur ein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Diese Milliarden fehlen den Menschen im Alter – und sie fehlen letztlich dem ganzen Wirtschaftskreislauf. Wer weniger Geld im Ruhestand hat, konsumiert weniger und ist stärker auf staatliche Unterstützung angewiesen.“

Ist das Geschäftsmodell noch zeitgemäß?

Die zentrale Frage lautet also: Ist das traditionelle Modell der Lebensversicherung im digitalen Zeitalter überhaupt noch zeitgemäß? Während InsurTechs mit schlanken, kostengünstigen Produkten auf den Markt drängen und ETF-Sparpläne per Mausklick verfügbar sind, wirkt das System der Lebensversicherung wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.

„Der Ursprung der Versicherungsidee war Sicherheit und Solidarität“, sagt Enger. „Heute ist oft nur noch das Geschäftsinteresse der Unternehmen sichtbar. Die ursprüngliche Idee – das Risiko gemeinsam zu tragen und faire Leistungen im Alter zu sichern – droht in der Praxis verloren zu gehen.“

Fazit – Aufbruch statt Stillstand

Die Lebensversicherung, einst Symbol für Sicherheit, ist zum Geschäftsmodell für Unternehmen geworden – und zum Kostenfaktor für Verbraucher. Vier Millionen Neuabschlüsse pro Jahr sind kein Zeichen von Vertrauen, sondern ein Beweis für die Macht des Vertriebs. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: hohe Kosten, niedrige Renditen, entgangene Chancen.

Sven Enger und Prof. Schade fordern deshalb einen grundlegenden Wandel. Enger plädiert für mehr Transparenz und faire Produkte, die den Kunden in den Mittelpunkt stellen. Schade fordert eine Neubewertung des gesamten Systems, inklusive der Frage, ob bestimmte Kostenstrukturen überhaupt noch vertretbar sind.

Der Appell ist klar: Verbraucher sollten kritisch prüfen, bevor sie unterschreiben. Vermittler sollten sich fragen, ob sie wirklich das beste Produkt für ihre Kunden empfehlen. Und die Politik sollte überlegen, ob sie ein System weiter stützen will, das Milliarden an potenziellem Vermögen von Verbrauchern in die Kassen der Versicherer lenkt.

Die Lebensversicherung – ein Geschäft mit dem Leben. Die Frage ist nur: Wem bringt es wirklich etwas?

Die Zahlen machen deutlich: Ganz gleich, ob 200 Euro im Monat für 30 Jahre oder 500 Euro für 25 Jahre – das Ergebnis ist immer gleich: ein erheblicher Verlust an möglicher Rendite. Versicherungen verdienen, Vermittler profitieren, doch die Verbraucher verlieren.

Prof. Schade und Sven Enger sind sich einig: Nur Transparenz und ein grundlegender Wandel im Geschäftsmodell können dieses Ungleichgewicht beheben. Bis dahin gilt: Wer eine Lebens- oder Rentenversicherung unterschreibt, sollte wissen, dass er nicht nur fürs Alter spart – sondern in erster Linie das Geschäftsmodell der Branche finanziert.

V.i.S.d.P

Dr. Rainer Schreiber
Dozent, Erwachsenenbildung & Personalberater

Über den Autor:

Personalberater und Honorardozent Dr. Rainer Schreiber, mit Studium der Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Finanzierung, Controlling, Personal- und Ausbildungswesen. Der Blog schreiber-bildung.de bietet Themen rund um Bildung, Weiterbildung und Karrierechancen. Sein Interesse liegt in der beruflichen Erwachsenenbildung und er publiziert zum Thema Personalberatung, demografischer Wandel und Wirtschaftspolitik. 

Kontakt

Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte
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