Die aufsichtsrechtliche Erlaubniserweiterung und ihre rechtliche Bewertung

Die aufsichtsrechtliche Erlaubniserweiterung und ihre rechtliche Bewertung - Sven Enger

Worüber schreiben wir:

Wenn deutsche Versicherer plötzlich Märkte wie Bangladesch, Bhutan oder Neuseeland erschließen dürfen – Routine oder ein Signal für die Zukunft globaler Finanzaufsicht?

Ein Signal über Ländergrenzen hinaus

Die Entscheidung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), der VHV Allgemeine Versicherung AG die Ausweitung von Rückversicherungsgeschäften im sogenannten Dienstleistungsverkehr auf Länder wie Bangladesch, Bhutan, Senegal, Namibia und Neuseeland zu gestatten, mag zunächst wie ein bürokratischer Verwaltungsakt erscheinen. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Hier geht es um weit mehr als ein paar neue Märkte auf der Landkarte. Es geht um die Frage, wie flexibel das deutsche und europäische Versicherungsaufsichtsrecht tatsächlich ist, wenn Globalisierung und digitale Transformation immer stärker ineinandergreifen. Und es geht darum, ob die Balance zwischen Marktöffnung, Verbraucherschutz und staatlicher Aufsicht neu justiert werden muss.

„Solche Genehmigungen sind ein Lackmustest für das Zusammenspiel zwischen Aufsichtsbehörden, Versicherungswirtschaft und dem Vertrauen der Versicherten“, erklärt Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt aus Berlin und Vertrauensanwalt der ABOWI Law. Für ihn ist klar: Die BaFin handelt hier nicht im Schatten, sondern setzt ein deutliches Signal, das weit über Deutschland hinausstrahlt.

Dienstleistungsverkehr im Lichte des VAG – mehr als ein Paragrafenspiel

Juristisch basiert die Erlaubniserweiterung auf den Regelungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). § 8 VAG schreibt vor, dass Versicherungsunternehmen nur solche Geschäfte betreiben dürfen, für die sie von der BaFin ausdrücklich eine Erlaubnis erhalten haben. In Anlage 1 zum Gesetz sind die einzelnen Versicherungssparten aufgelistet, von Unfall- über Kredit- hin zu Rechtsschutzversicherung.

Der „Dienstleistungsverkehr“ im Sinne des § 67 VAG bedeutet, dass deutsche Versicherer Leistungen auch in anderen Ländern erbringen dürfen, ohne dort physisch präsent zu sein. Im EU-Binnenmarkt ist dieses Prinzip Alltag. Dass es nun auf Drittstaaten wie Bangladesch oder Senegal ausgeweitet wird, macht den Fall so besonders.

„Diese Art der Genehmigung ist keineswegs Routine, sondern setzt ein hohes Maß an Risikobewertung, völkerrechtlicher Analyse und marktspezifischem Know-how voraus“, betont Dr. Schulte. Denn hier reicht es nicht, deutsches Recht anzuwenden. Vielmehr müssen unterschiedliche Rechtsordnungen, politische Stabilität und internationale Compliance-Standards in Einklang gebracht werden.

Die BaFin als Wächterin und Lenkerin

Mit über 2.800 Mitarbeitern überwacht die BaFin rund 700 Versicherer in Deutschland. Allein 2024 wurden über 400 Vor-Ort-Prüfungen durchgeführt. Dass sie nun auch Drittstaatgeschäfte in den Blick nimmt, zeigt die Ambition der Behörde, deutsche Versicherer global wettbewerbsfähig, aber zugleich regelkonform agieren zu lassen.

„Die BaFin ist nicht nur Wächterin, sondern auch Lenkerin der Versicherungsordnung“, kommentiert Sven Enger, Geschäftsführer der auxinum GmbH und ehemaliger Vorstand mehrerer Lebensversicherer. „Sie schafft regulatorische Sicherheit und zwingt Unternehmen dazu, ihre Expansionsstrategien mit soliden Fundamenten zu unterlegen. Ohne die BaFin als Stabilitätsanker würde der Markt schneller in Turbulenzen geraten, als vielen lieb ist.“

Enger weiß, wovon er spricht: Als Insider kennt er die Versuchung der Branche, internationale Märkte vor allem unter Renditegesichtspunkten zu erschließen. Doch er hat die Seiten gewechselt und sieht seine Aufgabe heute darin, Verbraucher über Risiken und Chancen aufzuklären.

Globale Expansion deutscher Versicherungen ist möglich - Sven Enger

Internationalisierung als Risiko und Chance

Das Betreten von Märkten wie Bangladesch oder Senegal bedeutet juristische Gratwanderung. Unterschiedliches Vertragsrecht, mangelnde Durchsetzbarkeit von Schiedsklauseln und politische Instabilität können den Geschäftsbetrieb erschweren. Gleichzeitig eröffnet die Internationalisierung neue Wachstumsperspektiven.

2024 belief sich das weltweite Prämienaufkommen der Versicherungswirtschaft laut Swiss Re Sigma Report auf rund 7,2 Billionen US-Dollar, wovon knapp die Hälfte in aufstrebenden Märkten generiert wurde. Länder wie Bangladesch verzeichnen seit Jahren zweistellige Wachstumsraten im Versicherungssektor. Der Markteintritt deutscher Versicherer bedeutet also nicht nur Risiko, sondern auch die Chance, an diesen Dynamiken zu partizipieren.

„Es geht darum, Risiken beherrschbar zu machen, nicht sie zu vermeiden“, sagt Enger. „Wer glaubt, internationale Expansion sei ein Spaziergang, verkennt die Komplexität. Aber wer sie klug anpackt, kann neue Stabilität für das eigene Geschäftsmodell schaffen – und im Idealfall auch Verbrauchern in diesen Ländern mehr Sicherheit bieten.“

Compliance als Dauerbaustelle – Geldwäsche, Korruption und Transparenz

Ein neuralgischer Punkt ist die Einhaltung internationaler Standards. § 23 VAG verlangt klare Vorgaben zur Geschäftsorganisation, ergänzt durch Risikomanagementsysteme. Wer über Grenzen hinweg tätig wird, muss diese Verpflichtungen auch dort erfüllen, wo Rechtsverständnis und Kontrollmechanismen schwächer ausgeprägt sind.

Die OECD schätzt, dass jährlich rund 2 bis 5 Prozent des weltweiten BIP – also bis zu 2 Billionen US-Dollar – durch Geldwäsche bewegt werden. Für Versicherer, die in neue Märkte eintreten, bedeutet das eine massive Verantwortung. „Besonders kritisch ist die Einhaltung der Anti-Korruptionsrichtlinien“, warnt Dr. Schulte. „Ein einziger Verstoß kann nicht nur zu Strafen führen, sondern das Vertrauen in die gesamte Branche erschüttern.“

Verbraucherperspektive – Stabilität oder Unsicherheit?

Für Verbraucher in Deutschland stellt sich eine zentrale Frage: Bedeutet die Expansion ins Ausland mehr Sicherheit durch Diversifikation – oder lenkt sie Unternehmen von ihrem Kerngeschäft ab? Gerade in Zeiten, in denen Vertrauen in die Lebensversicherung ohnehin erodiert – die durchschnittliche Verzinsung liegt 2025 bei nur noch 1,25 Prozent, während die Inflation 3,2 Prozent erreicht – wiegt jede Entscheidung schwer.

Eine Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen Hamburg zeigt, dass 64 Prozent der Befragten in Deutschland ihre Lebensversicherung als „weniger attraktiv“ einstufen als noch vor zehn Jahren. Wenn Versicherer nun in exotische Märkte expandieren, müssen sie erklären können, welchen Mehrwert das für ihre heimischen Kunden bringt.

„Die Versicherten sind keine Zuschauer, sondern Mitträger des Risikos“, so Enger. „Es wäre fatal, wenn Unternehmen Expansionsstrategien als Selbstzweck verfolgen und dabei die Interessen ihrer Kunden aus dem Blick verlieren.“

Digitale Transformation – Motor oder Stolperstein?

Parallel zur geografischen Expansion verändert die digitale Transformation die Branche. Künstliche Intelligenz wird bereits in der Risikoprüfung eingesetzt, Blockchain-Technologien versprechen transparente Vertragsabwicklungen, und InsurTechs greifen traditionelle Anbieter mit digitalen Geschäftsmodellen an.

Der deutsche Versicherungsmarkt investierte 2024 laut Bitkom-Studie über 4,5 Milliarden Euro in digitale Projekte – ein Plus von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Doch mit der Technik wächst auch die Angriffsfläche: Cyberrisiken sind inzwischen das am schnellsten wachsende Geschäftsgebiet der Rückversicherer.

Dr. Schulte ordnet ein: „Digitale Innovationen sind kein Luxus, sondern Voraussetzung, um internationale Geschäfte rechtssicher und effizient abzuwickeln. Aber sie müssen in ein rechtliches Korsett eingebettet werden, das Transparenz und Verbraucherschutz gewährleistet.“

Gesellschaftliche Dimension – Vertrauen als Kapital

Die Erlaubniserweiterung der BaFin ist deshalb nicht nur ein Thema für Brancheninsider. Sie betrifft die Gesellschaft als Ganzes. Versicherungen erfüllen eine zentrale Funktion: Sie nehmen Unsicherheit aus dem Alltag. Ob Altersvorsorge, Krankenversicherung oder Haftpflicht – ohne sie würde das soziale Gefüge ins Wanken geraten.

Doch Vertrauen ist das einzige Kapital, das Versicherer nicht bilanziell ausweisen können. Ein Skandal, sei es durch Korruption im Ausland oder mangelhafte Transparenz, könnte dieses Kapital in kürzester Zeit zerstören.

„Die Stärke der BaFin liegt darin, nicht nur den Buchstaben des Gesetzes zu wahren, sondern das Vertrauen der Menschen in die Stabilität des Systems zu schützen“, sagt Enger. Und Schulte ergänzt: „Das eigentliche Risiko ist nicht die Expansion an sich, sondern die Frage, ob Verbraucher das Gefühl haben, dass ihre Sicherheit an erster Stelle steht.“

Fazit – mehr als ein Verwaltungsakt

Die aufsichtsrechtliche Erlaubniserweiterung für die VHV Allgemeine AG ist ein Lehrstück für die Zukunft der Versicherungswirtschaft. Sie zeigt, wie eng juristische Vorschriften, ökonomische Interessen und gesellschaftliches Vertrauen miteinander verflochten sind. Sie verdeutlicht, dass die BaFin nicht nur kontrolliert, sondern lenkt. Und sie stellt die Frage, wie sich Verbraucher in einem System behaupten, das immer globaler, digitaler und komplexer wird.

Am Ende geht es um mehr als Paragrafen und Märkte. Es geht um die Stabilität eines Systems, das Millionen Menschen Sicherheit verspricht. Die Entscheidung der BaFin ist deshalb ein Schritt mit doppeltem Gewicht: Sie signalisiert Vertrauen in die Stärke deutscher Versicherer – und erinnert zugleich daran, dass Regulierung kein Hemmschuh ist, sondern die Grundlage für das Funktionieren eines Marktes, der ohne Vertrauen nicht existieren kann.

V.i.S.d.P

Dr. Rainer Schreiber
Dozent, Erwachsenenbildung & Personalberater

Über den Autor:

Personalberater und Honorardozent Dr. Rainer Schreiber, mit Studium der Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Finanzierung, Controlling, Personal- und Ausbildungswesen. Der Blog schreiber-bildung.de bietet Themen rund um Bildung, Weiterbildung und Karrierechancen. Sein Interesse liegt in der beruflichen Erwachsenenbildung und er publiziert zum Thema Personalberatung, demografischer Wandel und Wirtschaftspolitik. 

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