Wie Recht, Markt und Verbraucher die Lebensversicherung der Zukunft formen

Wie Recht, Markt und Verbraucher die Lebensversicherung der Zukunft formen - Sven Enger

Worüber schreiben wir:

Was geschieht, wenn ein ganzes Vorsorgesystem ins Wanken gerät? Und welche neue Ordnung entsteht, wenn Recht, Markt und Verbraucher gemeinsam den Wandel erzwingen?

Es gibt historische Momente, in denen ein System seinen Charakter ändert, lange bevor es sichtbar zusammenbricht. Die deutsche Lebensversicherung befindet sich an genau diesem Punkt. Die Ära der „sicheren Police fürs Leben“ wird kritisch infrage gestellt und das Ende kommt leise, schleichend, vielschichtig. Nicht ein einzelnes Ereignis, sondern eine Kombination aus ökonomischem Druck, politischer Orientierungslosigkeit, wachsendem Verbraucherbewusstsein und einer immer strengeren Rechtsprechung verändert die Grundstruktur eines jahrzehntelang stabilen Marktes.

Mit einem Blick in die Zukunft beleuchten wir die kommenden Herausforderungen, die Chancen, die Risiken und die tiefgreifende Frage, welche Rolle die Rückabwicklung langfristig spielt. Dabei ist die Stimme eines Insiders von besonderer Bedeutung: Sven Enger, ehemaliger Vorstand mehrerer deutscher Lebensversicherungsgesellschaften und heutiger Geschäftsführer der auxinum. Er warnt seit Jahren davor, dass die Branche „nicht nur ein Renditeproblem hat, sondern ein Wahrheitsproblem“. Sein Blick hinter die Kulissen eröffnet eine Perspektive, die Juristen, Verbraucherschützern und Politikern gleichermaßen zu denken geben sollte.

Jenseits der Zahlen – warum die Lebensversicherung ihre gesellschaftliche Legitimation verliert

Über Jahrzehnte galt die Lebensversicherung als unverrückbarer Pfeiler der Altersvorsorge. Familien, Betriebe, Arbeitgeber, sie alle vertrauten darauf, dass die Police am Ende mehr auszahlt, als eingezahlt wurde. Dieses Vertrauen war nicht naiv, sondern Ausdruck einer wirtschaftlichen und politischen Kultur, die Versicherungen als Stabilitätsgaranten verstand. Doch die Realität der letzten 20 Jahre hat dieses Fundament brüchig werden lassen.

Niedrigzinsen, steigende Kosten, sinkende Überschüsse und geschrumpfte Garantien haben die ursprüngliche Logik der Lebensversicherung ausgehöhlt. Während Verbraucher reale Verluste erleiden, arbeiten Versicherer dennoch profitabel weiter – eine paradoxe Situation, die an Glaubwürdigkeit zehrt.

Sven Enger beschreibt dies als „Entkopplung von Anspruch und Wirklichkeit“. Verbraucher erwarteten Stabilität, während die Branche längst auf Notbetrieb umgestellt habe. Für Juristen entsteht daraus ein neuer Prüfmaßstab: Ein Vertrag, der im Ergebnis systematisch zu Nachteilen führt, verliert seinen Charakter als schützenswertes Vorsorgeprodukt. Die Rückabwicklung wird damit nicht zum Angriff, sondern zum Korrekturmechanismus für verloren gegangenes Gleichgewicht.

Renditenproblem bei Lebensversicherungen - Sven Enger

Die neue Rolle des Rechts – der Gesetzgeber hinkt hinterher, die Gerichte schreiten voran

Die Rechtswissenschaft befindet sich in einer Phase beschleunigter Anpassung. Während die Politik zögert, das System der Altersvorsorge neu zu denken, setzen EuGH und BGH Zeichen. Sie entscheiden klar, streng und verbraucherorientiert. Fehlerhafte Widerrufsbelehrungen werden nicht mehr als Formalien betrachtet, sondern als strukturelle Intransparenz. Unklare Kostenmodelle sind nicht mehr bloße Unschärfen, sondern Vertragsverstöße.

Die Rückabwicklung wird damit zum juristischen Leitinstrument einer neuen Verbraucherordnung. Aus einem punktuellen Rechtsbehelf wird ein systemisch wirksames Korrektiv.

Sven Enger betont, dass diese Entwicklung die Branche „überrascht hat, weil sie ihre eigenen Fehler nicht als Rechtsverstöße, sondern als Marktpraxis wahrnahm“. Genau darin liegt die Brisanz: Das Recht beweist seine Unabhängigkeit. Es schützt nicht das System, sondern den einzelnen Bürger und zwingt dadurch das System zur Neuordnung.

Die wirtschaftliche Realität – warum die Branche an ein strukturelles Ende stößt

Kein Markt der Welt ist immun gegen falsche Annahmen. Die deutsche Lebensversicherung beruhte jahrelang auf einer fundamentalen Prämisse: Kapital lässt sich verlässlich und langfristig zu vier Prozent oder mehr verzinsen. Diese Annahme ist tot. Sie wird auch nicht wiederkehren, selbst nicht in einem kurzfristigen Hochzinszyklus.

Die Branche hat versucht, sich anzupassen: Absenkung des Garantiezinses auf 0,25 Prozent, neue Hybridprodukte, mehr Kapitalmarktbezug. Doch diese Anpassungen bleiben kosmetisch. Die strukturelle Last der Altverträge bleibt bestehen.

Enger spricht von einer „mathematischen Sackgasse“. Die Verpflichtungen von gestern lassen sich mit den Erträgen von heute nicht mehr finanzieren. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind gravierend und prägen längst die Realität des deutschen Lebensversicherungsmarktes. Die Überschussbeteiligungen, einst das Herzstück der Attraktivität dieser Verträge, befinden sich im kontinuierlichen Sinkflug und verlieren Jahr für Jahr an wirtschaftlicher Relevanz. Gleichzeitig steigen die internen Verwaltungskosten der Versicherer, weil immer größere finanzielle und regulatorische Aufwände notwendig werden, um Altgarantien zu bedienen und die komplexen Anforderungen des Aufsichtsrechts zu erfüllen. Viele untrügliche Zeichen dafür, dass Vertrauen und wirtschaftliche Überzeugungskraft gleichermaßen schwinden. Und schließlich erodiert die Risikotragfähigkeit vieler Versicherer, die unter dem Druck niedriger Zinsen, hoher Verpflichtungen und stagnierender Kapitalerträge zunehmend an strukturelle Grenzen stoßen. In der Summe zeigt sich ein Markt, der nicht vorübergehend schwächelt, sondern tiefgreifend aus dem Gleichgewicht geraten ist.

In dieser Gemengelage wird die Rückabwicklung zu einem Instrument der Entlastung für Verbraucher, aber indirekt auch für das System. Sie entzieht dem Kollektiv belastende Verträge, deckt Fehlkalkulationen auf und zwingt Versicherer, ihre Geschäftsmodelle neu zu justieren.

Verbraucherrevolution – ein informierter Markt bricht alte Machtstrukturen

Noch vor zehn Jahren war die Lebensversicherung ein Bereich, in dem Verbraucher selten aktiv wurden, denn sie vertrauten, hofften und warteten.

Heute ist die Situation grundlegend anders. Die digitale Informationslage, die öffentliche Debatte über Verluste und die wachsende Bekanntheit des Widerrufsjokers haben eine neue Verbraucheridentität geschaffen. Versicherungsnehmer werden zu Marktteilnehmern mit Ansprüchen, Rechten und Erwartungen.

Sven Enger beschreibt diese Entwicklung als „Aufbruch einer schweigenden Mehrheit“, die nun beginnt, ihre Verträge zu hinterfragen. Juristisch bedeutet dies: Die Zahl der Rückabwicklungen wird weiter steigen. Nicht wegen Missgunst, sondern weil Verbraucher erkennen, dass ihnen ein Recht zusteht und sie es nutzen können.

Die Zukunft der Altersvorsorge – ein neues Modell zeichnet sich ab

Die entscheidende Frage drängt sich mit wachsender Klarheit auf: Was kommt nach der klassischen Lebensversicherung? Alte Garantiearchitekturen brechen weg, und an ihre Stelle tritt ein vollkommen neues Verständnis von Vorsorge. Sven Enger ist überzeugt, dass die Altersvorsorge der Zukunft aus einem Dreiklang bestehen wird: einer staatlichen Grundsicherung, die das Minimum garantiert, einer kapitalmarktbasierten Eigenvorsorge, die reale Renditechancen eröffnet, und flexiblen Hybridprodukten, die Risiken intelligent verteilen, statt trügerische Garantien zu versprechen. Versicherer werden sich neu erfinden müssen, nicht mehr als Hüter jahrzehntelanger Zusagen, sondern als professionelle Risikomanager in einem dynamischen Finanzmarkt. Juristisch bedeutet dieser Wandel nichts weniger als eine Revolution. Zu deutlich mehr Transparenz, weitreichenderen Informationspflichten, strengerer Haftung und einer engmaschigeren Kontrolle. Die Rückabwicklung hat damit nicht nur ein überholtes System entlarvt, sondern zugleich den Startschuss für eine neue Ära gegeben, in der Verträge klarer, Verbraucher informierter und Haftungsmaßstäbe schärfer werden.

Fazit: Ein System im Wandel, ein Recht im Aufbruch, ein Verbraucher im Erwachen

Die Lebensversicherung steht am Beginn einer tiefgreifenden Transformation. Nicht eine einzelne Kraft, sondern das Zusammenspiel aus Recht, Markt und Verbraucherverhalten löst diesen Wandel aus.

Und Experten wie Sven Enger zeigen, dass dieser Wandel notwendig ist, um ein System zu schaffen, das der Zukunft standhält. Die Rückabwicklung ist dabei nicht das Ende, sondern der Anfang – der Anfang eines neuen Verständnisses von Verantwortlichkeit, Fairness und Transparenz im Versicherungsmarkt.

Dr. Rainer Schreiber
Dozent, Erwachsenenbildung & Personalberater

Über den Autor:

Personalberater und Honorardozent Dr. Rainer Schreiber, mit Studium der Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Finanzierung, Controlling, Personal- und Ausbildungswesen. Der Blog schreiber-bildung.de bietet Themen rund um Bildung, Weiterbildung und Karrierechancen. Sein Interesse liegt in der beruflichen Erwachsenenbildung und er publiziert zum Thema Personalberatung, demografischer Wandel und Wirtschaftspolitik. 

Kontakt

Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte
E-Mail: law@meet-an-expert.com

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